Es gibt Wichtigeres als selbstreguliertes Lernen und Künstliche Intelligenz. – Und doch: Beide Themen sind hochrelevant für zeitgemäße Bildung, werden aber oft mit Missverständnissen verbunden: So hält sich hartnäckig die Annahme, selbstreguliertes Lernen finde nur in offenen, frei gestaltbaren Unterrichtsformen statt – Dabei ist Selbstregulation nicht an die äußere Unterrichtsform gebunden: Auch in lehrgangsorientierten, instruktionsbasierten Phasen brauchen Lernende die Fähigkeit, Ziele zu setzen, Strategien anzuwenden und mit Schwierigkeiten umzugehen. Selbstreguliertes Lernen ist also keine Methode, sondern eine Kompetenz, die in allen Lernkontexten eine Rolle spielt.
Ebenso wird KI häufig als automatisierte Lernhilfe missverstanden, die eigenständiges Denken ersetzt – obwohl ihr Potenzial gerade darin liegt, Lernprozesse zu begleiten und zu reflektieren, nicht zu übernehmen.
„Tatsächlich zeigt sich: Wer über Strategien des Lernens verfügt – wer also weiß, wie man sich Ziele setzt, mit Schwierigkeiten umgeht und die eigene Leistung einschätzt –, kann KI-Werkzeuge gezielter, reflektierter und lernwirksamer nutzen. “
Umgekehrt eröffnet KI neue Möglichkeiten, selbstreguliertes Lernen zu fördern: durch individuelle Rückmeldungen, Transparenz im Lernprozess und Unterstützung in jeder Phase des Lernens.
Dieser Beitrag beleuchtet, wie selbstreguliertes Lernen und KI zusammenwirken können, warum beide Themen gemeinsam gedacht werden sollten – und wie KI entlang der drei Phasen der Selbstregulation (Planung, Durchführung und Reflexion) sinnvoll zum Einsatz kommen kann KI als Unterstützer im Prozess des selbstregulierten Lernens
Künstliche Intelligenz kann das selbstregulierte Lernen nicht ersetzen – wohl aber zielgerichtet unterstützen. Besonders spannend wird ihr Einsatz, wenn man ihn entlang der drei klassischen Phasen der Selbstregulation betrachtet: der Vorbereitungsphase, der Durchführungsphase und der Reflexionsphase. In jeder dieser Phasen kann KI helfen, Lernprozesse transparenter, bewusster und individueller zu gestalten – vorausgesetzt, sie ist pädagogisch sinnvoll eingebettet.
- Vorbereitungsphase: Ziele setzen und Strategien planen
In der ersten Phase des selbstregulierten Lernens geht es darum, sich über das eigene Lernziel klar zu werden und eine geeignete Strategie zu wählen. KI-gestützte Tools können Lernende hierbei aktiv unterstützen, indem sie z. B. Vorschläge für konkrete, erreichbare Ziele machen oder die Zielsetzung strukturieren helfen (z. B. durch SMART-Zielhilfen).
Ein Beispiel: Ein Schreibbegleiter auf KI-Basis kann Lernenden helfen, ihren Schreibauftrag besser zu verstehen, das Ziel zu klären („Was genau soll mein Text leisten?“) und passende Herangehensweisen vorzuschlagen („Welche Art von Text passt zu meinem Ziel?“). Auch Lernapps mit KI-Komponenten können Empfehlungen aussprechen, wie ein bestimmter Stoff am besten eingeübt werden kann – individuell angepasst an Vorwissen und Lernstil.
In diesem Sinne kann KI eine zielorientierte Lernplanung unterstützen, ohne sie zu übernehmen – die Entscheidung liegt weiterhin beim Lernenden, aber sie erfolgt auf einer informierten Grundlage.
- Durchführungsphase: Lernen begleiten und unterstützen
Während der Durchführung des Lernens kommt es auf Strategieeinsatz, Motivation und Ausdauer an – hier hilft KI, indem sie als „Lernbegleiter“ im Hintergrund mitläuft. KI kann etwa den Lernfortschritt in Echtzeit erfassen, Hinweise geben, wenn Strategien nicht zu wirken scheinen, oder Erinnerungen einblenden, wenn Pausen nötig sind.
Ein konkretes Beispiel liefert das Tool FelloFish: Es unterstützt Schüler:innen beim Schreiben, indem es während des Prozesses Rückmeldung gibt – z. B. ob der Text schon einen klaren roten Faden hat oder bestimmte sprachliche Mittel verwendet wurden. Das Tool wirkt dabei nicht kontrollierend, sondern wie ein Co-Pilot, der motiviert, fokussiert und Orientierung gibt.
Zudem kann KI auch helfen, Ablenkungen zu erkennen, Zeitfenster zu überwachen oder gezielt Impulse zur Weiterarbeit zu geben. Gerade für jüngere Lernende, die sich noch schwer mit Selbststeuerung tun, kann ein solcher „digitaler Lerncoach“ wichtige Funktionen übernehmen, ohne den Prozess zu dominieren.
- Reflexionsphase: Feedback geben und Lernprozesse sichtbar machen
Am Ende eines Lernprozesses steht die Reflexion: Habe ich mein Ziel erreicht? Was hat gut funktioniert, was nicht? Genau hier liegt eine der größten Stärken KI-gestützter Systeme: Sie können Lernprozesse transparent machen – nicht nur das Ergebnis, sondern auch den Weg dorthin.
Systeme wie FelloFish analysieren z. B. Schreibprozesse und geben differenziertes Feedback darüber, welche Kompetenzen bereits sicher vorhanden sind und wo noch Entwicklungsbedarf besteht. Diese Rückmeldung ist nicht nur für die Lernenden selbst hilfreich, sondern auch für Lehrkräfte, die dadurch gezielter unterstützen können.
KI kann auch helfen, Muster in Fehlern oder Strategieeinsätzen sichtbar zu machen: Sie erkennt beispielsweise, dass ein Schüler oder eine Schülerin immer dann ins Stocken gerät, wenn ein bestimmter Texttyp gefordert ist, oder dass bestimmte Strategien konsequent ignoriert werden. Dieses Wissen kann dann in die nächste Planungsphase einfließen; es sensibilisiert die Lernenden und führt dazu, dass sie ihr Lernen verändern können, denn nur bewusstes Verhalten kann verändert werden – der Zyklus schließt sich.
So trägt KI dazu bei, metakognitive Prozesse zu stärken: Lernende erhalten nicht nur Rückmeldung zum Produkt, sondern lernen auch, über ihr eigenes Lernen nachzudenken – ein zentraler Bestandteil der Selbstregulation.
Selbstregulation als Voraussetzung für die lernförderliche Nutzung von KI
So sehr KI das selbstregulierte Lernen auch unterstützen kann – umgekehrt gilt ebenso:
„Nur wer bereits über Strategien des Lernens verfügt, kann KI wirklich lernförderlich nutzen. Lernende, die wissen, wie sie sich Ziele setzen, welche Strategien für sie funktionieren und wie sie mit Misserfolgen umgehen können, sind deutlich besser in der Lage, die Vorschläge, Hinweise oder Analysen einer KI einzuordnen und gewinnbringend zu verwenden. “
Ohne ein gewisses Maß an metakognitiver Kompetenz besteht die Gefahr, dass KI-gestützte Tools bloß passiv konsumiert oder als reine Korrekturhilfen missverstanden werden. Erst wenn Lernende in der Lage sind, ihr eigenes Lernen zu reflektieren und bewusst zu steuern, wird KI zu einem echten Lernpartner – nicht als Ersatz für eigene Entscheidungen, sondern als Verstärker guter Strategien. Selbstreguliertes Lernen ist damit nicht nur Ziel, sondern auch Voraussetzung für eine sinnvolle, wirksame Integration von KI in Bildungskontexte.
Mehr Forschung notwendig
Selbstreguliertes Lernen und Künstliche Intelligenz markieren zwei zentrale Bezugspunkte für die Weiterentwicklung von Bildung im digitalen Zeitalter. Richtig verstanden und gestaltet, kann KI das selbstregulierte Lernen nicht ersetzen – wohl aber gezielt unterstützen: beim Setzen von Zielen, beim Durchhalten im Lernprozess und bei der Reflexion des eigenen Fortschritts. Zugleich gilt: Nur wer über Strategien des Lernens verfügt, kann die Potenziale von KI auch wirklich ausschöpfen. Die Förderung selbstregulatorischer Kompetenzen ist damit keine Option, sondern eine Voraussetzung für einen reflektierten und lernwirksamen Umgang mit intelligenten Technologien.
Aktuelle Studien (Vgl.: Han, Ji, Jin und Chiu (2025)) verdeutlichen, dass der Einsatz von KI – insbesondere in Form von Chatbots wie ChatGPT – nicht pauschal als lernförderlich oder lernhemmend bewertet werden kann. Vielmehr hängt die Wirksamkeit maßgeblich von den individuellen Voraussetzungen der Lernenden ab. So zeigt eine aktuelle Untersuchung, dass KI-gestützte Systeme insbesondere dann hilfreich sind, wenn Lernende geringe selbstregulative Fähigkeiten mitbringen: In solchen Fällen kann ein Chatbot dazu beitragen, Orientierung zu geben, Strategien vorzuschlagen und die Lernsteuerung zu erleichtern. Umgekehrt kann derselbe KI-Einsatz für Lernende mit hoher Selbstregulationskompetenz eher störend oder bevormundend wirken – etwa dann, wenn er eigenständige Strategiewahl untergräbt oder unnötige Hilfestellung bietet. Diese Ergebnisse unterstreichen, dass der Einsatz von KI im Bildungsbereich differenziert und adaptiv gestaltet werden muss – nicht als universelles Werkzeug, sondern als pädagogisch eingebettetes Unterstützungssystem, das sich an den Bedürfnissen und Kompetenzen der Lernenden orientiert.
Literatur
Han, I., Ji, H., Jin, S. & Choi, K. (2025). Mobile-based artificial intelligence chatbot for self-regulated learning in a hybrid flipped classroom. Journal of Computing in Higher Education. https://doi.org/10.1007/s12528-025-09434-8
Stebner, F., Schuster, C., Weber, X.-L., Roelle, J., & Wirth, J. (2020). Indirekte Förderung des selbstregulierten Lernens – Praxistipps für den Fachunterricht. In H. van Vorst & E. Sumfleth (Eds.), Von Sprosse zu Sprosse. Innovative Erarbeitung des Bohr’schen Atomkonzepts mit der Lernleiter (pp. 28-41). Münster: Waxmann. http://www.waxmann.com/buch4093
Autoren
Prof. Ferdinand Stebner: An der Universität Osnabrück hat er die Professur für Erziehungswissenschaft mit dem Schwerpunkt Pädagogische Diagnostik und Beratung inne. Dort widmet er sich der empirisch-quantitativen Lehr-Lernforschung, sowohl in Form psychologischer Grundlagenstudien als auch durch Interventions- und Implementationsforschung. Seine inhaltlichen Schwerpunkte liegen auf dem selbstregulierten Lernen, dem multimedialen und digitalen Lernen sowie auf aktuellen Phänomenen wie der Smartphoneabhängigkeit.
Hendrik Haverkamp ist Lehrer am Evangelisch Stiftischen Gymnasium, Co-Leiter des Virtuellen Kompetenzzentrums Schreiben Lehren und Lernen mit KI (VK:KIWA) und Co-Gründer von FelloFish.