Neue Formen des Fremdsprachenunterrichts durch KI-gestützte Lernsettings und Virtual Exchange. Schreibproduktionstraining in Wechselwirkung mit einem „Sparringspartner-Team“

Neue Formen des Fremdsprachenunterrichts durch KI-gestützte Lernsettings und Virtual Exchange. Schreibproduktionstraining in Wechselwirkung mit einem „Sparringspartner-Team“

Von am 26.06.25
Inhalt

Vom Kompetenzmodell zum operationalisierbaren Unterrichtssetting: theoretische Vorüberlegungen

Im Rahmen meiner Moderationstätigkeit begegnen mir viele, engagierte Lehrkräfte, die aber stets vor dem gleichen, inneren Zwiespalt stehen: Wie lässt sich Fremdsprachunterricht trotz des engen, systemischen Korsetts von Lehrplänen oder traditionellen Prüfungsformaten dennoch durch innovative Lernsettings und authentische Kommunikation gestalten und weiterentwickeln?

Meine Antwort darauf: Statt durch Warten auf tiefgreifende, systemische Umwälzungsprozesse das Risiko zunehmender Frustration einzugehen, reicht es zunächst, an kleinen Stellschrauben zu drehen, um Lernen in Standardsituationen des Fremdsprachenunterrichts effektiver, prozessorientierter und insbesondere mit authentischer Kommunikation zu gestalten.

In diesem praxisorientierten Blogbeitrag stelle ich nach einer theoretischen Hinführung im Rahmen eines Unterrichtsbeispiels zur Schreibproduktion zwei dieser vielen, möglichen Stellschrauben vor: die Arbeit im Sprachtandem mit reflektierter Nutzung des KI- Tools FelloFish, d.h. einen mehrstufigen, von Schülerhand gesteuerten und von Lehrkräften und einem „Sparringspartner-Duett“ begleiteten Feedbackprozess.

Die folgenden Ausführungen, Materialien und Abbildungen, basieren auf meinen Erfahrungen als Lehrerin und Moderatorin, werden kontinuierlich weiterentwickelt, meinerseits zukünftig wissenschaftlich begleitet, sind aber aktuell Ideen „aus der Praxis für die Praxis“.

Virtual Exchange im modernen Fremdsprachenunterricht als Baustein von European und Global Citizenship

Um Kinder und Jugendliche auf die Herausforderungen in einer globalisierten Welt vorzubereiten, liegt es im Sinne der Bildungsgerechtigkeit und Chancengleichheit auch in schulischer Verantwortung, internationale Zusammenarbeit und globales Lernen bereits frühzeitig fest im schulischen Kontext zu implementieren. Die 7 Dimensionen des OECD-Lernkompasses verdeutlichen, worauf es hierbei insbesondere ankommt:

  • Student Agency und Co-Agency im Rahmen einer Erziehung zu selbstwirksamem, gesundem, verantwortungsvollem und sozialem Denken und Handeln in Wechselwirkung zu anderen
  • Transformationskompetenz im 21. Jahrhundert mit den Schlüsselkompetenzen Kritisches Denken, Komplexitätsdenken, Kommunikation, Kollaboration, Kreativität, der damit verbundenen Wertevermittlung und Future Skills.

Virtual Exchange, d.h. virtuelle Zusammenarbeit, als fester Baustein schulischen Lernens bietet die Möglichkeit, Co-Agency und die 5K‘s im internationalen Miteinander schulformübergreifend zu implementieren und damit junge Menschen langfristig auf ein verantwortungsbewusstes Handeln in globalen Kontexten vorzubereiten.

Aber wie das Ganze in sinnvolle Konzepte prozessorientieren Lernens implementieren und im Hinblick auf bestehende Lehrpläne und Prüfungsformate operationalisierbar machen? Hierin besteht eine große Herausforderung, um möglichst viele Lehrkräfte in diesem Transformationsprozess mitzunehmen. Dazu zählt, um im Sinne einer Vorbildfunktion für Schüler*innen bei Co-Agency für Lehrkräfte zu bleiben, dass man in Netzwerken agiert und eigene Ideen und Konzepte OER zugänglich macht.

eTwinning als Virtual Exchange Plattform für schulische, internationale Zusammenarbeit

Ich selbst nutze zur Vernetzung mit Lehrkräften und Umsetzung von Virtual Exchange Settings in meinem eigenen Fremdsprachenunterricht die im europäischen Kontext institutionell verankerte und durch wissenschaftliches Monitoring begleitete Plattform eTwinning. eTwinning bietet für Schüler*innen die Möglichkeit zur sicheren und DSGVO-konformen, virtuellen Zusammenarbeit unter Anleitung ihrer Lehrkräfte.

In einer aktuell veröffentlichten Studie Lernmobilität in Europa (2025) der Technischen Universität Dortmund setzen sich die Wissenschaftler*innen Sabine Hornberg, Michael Becker, Nadine Sonnenburg, Marion Peitz, Carina Schreiber mit den Gelingensbedingungen und der Wirkung von Erasmus Plus und eTwinning im Schulkontext auseinander. Dabei stellen sie in Bezug auf die Nutzung der Plattform fest, dass die Anzahl an Registrierungen durch Lehrkräfte auf der Plattform sehr hoch sei, im Verhältnis dazu aber weniger Projekte mit Schüler*innen realisiert würden. Als mögliche Ursache wird vermutet, dass die Plattform eher zur Vernetzung von Lehrkräften untereinander oder zum fachlichen Austausch genutzt werde. Außerdem stellen die Wissenschaftler*innen fest, dass, ähnlich wie bei der Nutzung von Mobilitäten, die Schulform der Gymnasien besonders stark vertreten sei. Eine weitere, empirisch belegbare Erkenntnis: während Grundschulen bei der Nutzung von Erasmus Plus Mobilitäten eher unterrepräsentiert seien, werde in dieser Schulform die virtuelle Zusammenarbeit über die Plattform intensiv genutzt.

Daraus resultiert im Hinblick auf die Implementation virtueller Projekte im schulischen Kontext meines Erachtens folgende Frage: Wie kann man das hier belegte Nutzungsverhalten bezüglich virtueller Kooperationsprojekte in den genannten Schulformen nachhaltig festigen, um eine frühe Implementation von Internationalisierung zur Ausbildung einer kompetenzorientierten Co-Agency im Schulsystem zu gewährleisten, wie kann man es in anderen Schulformen noch mehr fördern? Welche Art der systemischen Unterstützung, Fortbildungsformate oder Materialangebote benötigen Lehrkräfte, damit sie unmittelbar nach Registrierung auf der Plattform konkret virtuelle Projektarbeit in ihrem Unterricht implementieren?

Im folgenden Schaubild habe ich, ausgehend von der Nutzung von eTwinning im eigenen Fremdsprachenunterricht, versucht, eine mögliche Progression an Vernetzung und curricularer Implementation in vier Komplexitätsstufen zu visualisieren.

Abbildung 1: Stufenmodell der eTwinning Nutzung
Abbildung 1: Stufenmodell der eTwinning Nutzung

Blended Mobility meint in diesem Kontext eine Kombination aus virtuellem Austausch und realer Begegnung. Grundsätzlich werden folgende, auf meinen persönlichen Erfahrungen und Überlegungen beruhende Aspekte in dieser Darstellung deutlich:

  • Virtuelle Projekte müssen nicht zwangsläufig an eine reale Begegnung gekoppelt sein, fördern aber durch sinnvolles Projektmanagement deren Durchführung.
  • Über virtuelle Zusammenarbeit können neue, kreative Formen der unterrichtlichen, grenzüberschreitenden Kooperation entstehen.
  • Schon ab Stufe I des Modells wird eine Co-Agency-Mentalität im internationalen Lehrkräfteteam gefördert, was in jeglicher Hinsicht zur Professionalisierung von Lehrkräften beiträgt.
  • Schon ab Stufe I des Modells wird Co-kreatives Arbeiten und mehrsprachiges Denken und Handeln bei Schüler*innen geschult.

AI-Leadership als zentrale Herausforderung in einer globalisierten Welt braucht in Schule Co-kreative Prozesse, Lehrkräfte als verantwortungsvolle Netzwerker*innen und ein flächendeckendes wissenschaftliches Monitoring schulischer Bildung

Eine weitere, zentrale Herausforderung in einer globalisierten Welt stellt der sich exponentiell beschleunigende, technologische Wandel mit kontinuierlichen Entwicklungen im Hinblick auf künstliche Intelligenz dar. Für den schulischen Bereich beziehen wir uns dabei auf generative KI. Wie begegnen wir diesem digitalen Transformationsprozess, wie gestalten wir diesen in einem Co-kreativen, menschlich verantwortungsvoll gesteuerten Prozess mit? Diese immense Herausforderung bedarf einer frühzeitigen, schulischen Vorbereitung einer reflektierten, ethisch verantwortlichen, wie Professorin Doris Weßels die Kompetenz in einer ihrer Veröffentlichung bezeichnet, IA-Leadership als Königsdisziplin, im Sinne einer werteorientierten, verantwortungsvollen Gestaltungs- und Steuerungskompetenz (Weßels 2024).

Und auch hier stellt sich die Frage: Wie können wir einen derart komplexen Transformationsprozess, dessen Ausmaß uns als Lehrkräfte noch nicht bewusst ist co-kreativ mitgestalten? Aus meiner Sicht begegnen wir dieser Herausforderung nur als miteinander denkendes und kontinuierlich gemeinsam und voneinander lernendes Netzwerk an Lehrkräften, das diesen Prozess gemeinsam verantwortungsvoll steuert, indem wir unsere didaktisch-pädagogischen Konzepte immer wieder neu kritisch auf den Prüfstand stellen und nachhaltig weiterentwickeln. Dies können wir nur durch institutionsübergreifende Zusammenarbeit leisten und durch ein kontinuierliches Monitoring in einem Co-kreativen Prozess mit der Wissenschaft.

AI-Leadership in Schule: aus der Praxis für die Praxis

Zur Vermittlung der mit AI-Leadership verbundenen Kompetenzen und Skills wurden in den letzten Jahren zahlreiche Modelle (weiter-)entwickelt. Ein aktuelles, sehr anschauliches Modell für Lehrende und Lernende in der Schule, das Susanne Alles, Joscha Falsch, Manuel Flick und Regina Schulz aus einer Zusammenarbeit über den ThinkTank Lehren durch Lernen im Kontext von KI des VK:KIWA heraus gemeinsam entwickelt und OER zugänglich gemacht haben, ist ganz bewusst auf die schulische Nutzung ausgerichtet und bietet Möglichkeiten, es operationalisierbar fächerübergreifend einzusetzen. Vier zentrale Bereiche Verstehen, Anwenden, Reflektieren und Mitgestalten in unterschiedlichen Progressionsstufen stehen dabei in Form eines Kreisdiagramms in Wechselwirkung zueinander, um so prozessorientiertes Lernen im Kontext von KI sowohl für Lehrkräfte als auch für Schüler*innen in einem Co-kreativen Prozess kontinuierlich zu fördern.

Mit dem in diesem Blogeintrag dargestellten Unterrichtsbeispiel, wird versucht, die Anwendbarkeit und Operationalisierbarkeit dieses Modells konkret an einer Schreibproduktionsaufgabe im Sprachentandem zu zeigen, die unter Einsatz des KI-Feedbacktools FelloFish die Schreibproduktion zu einem komplexen, prozessorientierten Assessment mit Feedbackschleifen im Fremdsprachenunterricht werden lässt.

Komplexe Kommunikationssituation in Virtual Exchange Projekten

Im Rahmen von Virtual Exchange Projekten stehen Schüler*innen vor der Herausforderung vielschichtiger Prozesse synchroner und asynchroner Kommunikation.

Dieses sehr komplexe Thema wurde in seiner Umsetzung in universitären Lehr- und Lernkontexten häufiger empirisch erfasst und wissenschaftlich analysiert als im schulischen Kontext. In Bezug auf den schulischen Kontext betonen wissenschaftliche Beiträge immer wieder, dass die im Rahmen von Virtual Exchange Projekten reale und authentische Kommunikationssituation mit Lebensweltbezug zwischen Gleichaltrigen mehr motivierenden Charakter habe als konstruierte Gesprächs- oder Schreibanlässe in Lehrmaterialien. Der Unterricht erfahre dadurch eine Art der Art „Entkünstlichung“ (Biebighäuser/Zibelius/Schmidt 2012, 46). Diese Beobachtung bestätigen Schüler*innen in anonymisierten Umfragen im Rahmen meiner täglichen Arbeit mit eTwinning im Fremdsprachenunterricht.

Dabei entdecken Schüler*innen sehr schnell den Mehrwert dieser authentischen Unterrichtsform und wünschen sich reale, virtuelle Begegnung mit Gleichaltrigen aus anderen Ländern. Andererseits muss man eine gewisse Umstellungsphase, insbesondere bei schüchternen Schüler*innen einplanen, um schrittweise die Scheu vor diesen neuen Unterrichtsformen zu nehmen.

In einer meiner letzten Veröffentlichungen habe ich versucht, die virtueller Zusammenarbeit zugrunde liegenden Kommunikationswege und -kontexte darzustellen. Die Komplexität dieser Kommunikationssettings erfordert für jedes Unterrichtsszenario entsprechende, didaktische Entscheidungen zur Form des Austauschs zu treffen. Um es in einem Beispiel zu verdeutlichen:  Wenn man virtuell im zweisprachigen Tandem ein Rollenspiel einübt, so werden die Schüler*innen dies sowohl in einem formal schulischen als auch in einem außerschulischen Kontext üben. Sie werden asynchron kollaborativ z.B. an einem gemeinsamen Skript mit Schlüsselbegriffen zu diesem Rollenspiel schreiben, das Rollenspiel selbst aber sowohl in einem formalen als auch außerschulisch, informellen Kontext synchron üben.

Tabelle 1: Kommunikationssetting
Tabelle 1: Kommunikationssetting

Diese komplexen Kommunikationsprozesse erfordern ein durch das internationale Lehrkräfteteam geplantes, prozessorientiertes Lernarrangement. Vor- und Nachbereitung nehmen dabei einen ebenso zentralen Platz ein wie die Durchführung selbst. In folgender Abbildung habe ich versucht, diese organisatorischen Prozesse zu visualisieren.

Abbildung 2: Arbeitsorganisation und Planungsprozess (Level 1)
Abbildung 2: Arbeitsorganisation und Planungsprozess (Level 1)

Feedback in Schreibproduktionsaufgaben - Element eines prozessorientierten Lernsettings

Allgemein betrachtet, ist Feedback eines der zentralen Elemente prozessorientierter Lernsettings, um Schülerleistungen zu würdigen und kontinuierlich, motivierend und transparent im Lernprozess dabei das Verständnis dafür zu unterstützen, wo man selbst steht und wie man sich selbstwirksam weiterentwickeln kann. Feedback in Schreibproduktionsaufgaben ist besonders komplex und herausfordernd. Es sollte weder punktuell, noch rein produktorientiert, noch rein sprachlich-korrektiv gegeben werden, sondern als prozessorientierte, kriteriengeleitete Rückmeldung (Surkamp 2022, S.202).

Im Rahmen dieses Beitrags erfolgt der Feedbackprozess mit Unterstützung eines Sparringspartner-Duos: ein in Schüler*innenhand gesteuerter Prozess unter Zuhilfenahme der KI und in Wechselwirkung im Sprachtandem. Das hier entwickelte, formative Assessment zur Co-kreativen Erarbeitung der Schreibaufgabe erfolgt in 5 Schritten, die ich pragmatisch in Anlehnung an die vier iterativ-rekursiven Phasen Planung, Formulierung, Verschriftlichung und Revidieren (Becker-Mrotzek, 2022, S.21) 5Feeds-Schleife genannt habe. Einzelne, ausgewählte Phasen werde ich am folgenden Unterrichtsbeispiel im Detail erklären.

Abbildung 3: 5Feeds Feedbackprozess
Abbildung 3: 5Feeds Feedbackprozess

Klassische Schreibproduktionsaufgabe im Fremdsprachenunterricht in neuem Gewand

Obwohl Schreibproduktion kognitiv sehr herausfordernd für Schüler*innen ist und folglich im Entstehungsprozess intensive, individuelle Betreuung braucht, macht es der Unterrichtsalltag einer in Vollzeit beschäftigten Fremdsprachenlehrkraft nahezu unmöglich, diese individuelle Betreuung in jeder Unterrichtsstunde gleichsam für alle Schüler*innen leisten zu können.

Die Konsequenz ist ein häufig eher punktuelles, am finalen Schreibprodukt orientiertes Feedback zur Vorbereitung auf klassische Prüfungsformate. Hier kann man sich die Frage nach Lerneffizienz und -erfolg für die Schüler*innen stellen.

Im Folgenden soll anhand eines konkreten Unterrichtsbeispiels aus dem Italienischunterricht der gymnasialen Oberstufe gezeigt werden, wie im Rahmen des “5Feed-Verfahrens“ (meine Wortkreation), eine ohnehin bei Schreibaufgaben prozessorientierte, iterativ und rekursiv konzipierte Feedbackschleife durch ein steuerndes und Co-kreatives Schülertandem mit KI als Sparringspartner Reflexionsphasen verfeinern und potenzieren kann und dadurch der kognitiv fordernde und Individualisierung benötigende Prozess an die Bedürfnisse von Schüler*innen vermutlich angepasster ist.

Zudem ist zu vermuten, dass sich die Betreuung durch ein internationales Lehrkräfteteam positiv auf den Arbeitsprozess auswirken kann. Diese Annahmen müsste man jedoch durch wissenschaftliche Begleitung entsprechend überprüfen.

Klassisches Aufgabenformat und Königsdisziplin für die gymnasiale Oberstufe im Unterrichtsfach Italienisch ist das Verfassen eines Kommentars. Dies entspricht mit Operatoren wie commentare/giudicare/prendere posizione/valutare dem höchsten Anforderungsbereich (III), d.h. „dem Verarbeiten komplexer Sachverhalte mit dem Ziel, zu […] Begründungen und Wertungen zu gelangen“ (Italienisch KLP, Abiturprüfungen).

Abbildung 4: Standardsituationen des Fremdsprachenunterrichtes mit Virtual Exchange
Abbildung 4: Standardsituationen des Fremdsprachenunterrichtes mit Virtual Exchange

In diesem Unterrichtsbeispiel (das Arbeitsblatt ist für die Schüler*innen mit Zielsprache Deutsch formuliert) sollen Schüler*innen in Anlehnung an die in Italien und NRW geltenden Lehrpläne einen Kommentar zum deutschen und italienischen Schulsystem verfassen (Themenfeld Anfang QI: Dalla scuola alla vita professionale). Dazu sollen sie materialgestützt Unterschiede und Gemeinsamkeiten beider Systeme vergleichen, Vor- und Nachteile dazu evaluieren und basierend auf diesen Ergebnissen einen persönlichen Kommentar in der Zielsprache verfassen.

Mehrwert des „Sparringspartnerduetts“ im Feedbackprozess

Wie bereits zu Beginn des Beitrags skizziert, beziehe ich mich bei der Konzeption der Unterrichtseinheiten für virtuellen Austausch mit Einsatz generativer KI als Sparringspartner auf das KI-Kompetenzmodell des vorab bereits genannten Autor*innenteams.

Im Hinblick auf die hier ausgewiesenen Kompetenzbereiche und Progressionsstufen bewegt sich mein Unterrichtsbeispiel im Rahmen der Kategorien Verstehen, Anwenden und Reflektieren auf Niveaustufe I. Ich habe versucht, die den Kompetenzbereichen zugeordneten Skills konkret für mein Unterrichtsbeispiel zweisprachig zu operationalisieren.

Abbildung 5: KI-Kompetenzen
Abbildung 5: KI-Kompetenzen
Abbildung 6: Konkrete KI-Kompetenzen des Unterrichtsbeispiels
Abbildung 6: Konkrete KI-Kompetenzen des Unterrichtsbeispiels

Sparringspartner im Hinblick auf den Feedbackprozess im Allgemeinen erscheinen mir folgende Aspekte entscheidend:

Tabelle 2: Zusammenspiel des „Sparringspartnerduetts“ im Feedbackprozess
Tabelle 2: Zusammenspiel des „Sparringspartnerduetts“ im Feedbackprozess

Didaktisch-methodischer Kommentar zu ausgewählten Feedbackschritten der „5Feeds“

Orientieren, Strukturieren, kriteriengestütztes Formulieren

Die Schüler*innen sollen in ihrer jeweiligen Zielsprache einen Kommentar zum deutschen und italienischen Schulsystem verfassen (4 Unterrichtseinheiten). Wie bereits angedeutet, stelle ich in diesem Blogeintrag zwecks Veranschaulichung die Arbeitsblätter in deutscher Sprache (Zielgruppe: italienischsprachige Schüler*innen im Tandem) vor. Zur Vorbereitung eines ersten, kriteriengestützten Rohentwurfs gehen sie dabei in den nun folgenden Schritten vor.

Vorbereitungsschritt I:  sprachliche Vorbereitung - Wortschatzarbeit

Abbildung 7: Wortschatzarbeit
Abbildung 7: Wortschatzarbeit

Generell sind die Arbeitsmaterialien nach unterschiedlichen Differenzierungsgraden gestuft. Dieses Arbeitsblatt zur Erstellung eines zweisprachigen Wortfelds in Mind-Map Form zeigt das iterative Vorgehen in Wechselwirkung zu unterschiedlichen Sparringspartnern und entspricht aufgrund der detaillierten Erklärungen zum Steuerungsprozess der KI-Anwendung und Hilfestellungen in Schritt 1 und 2 einem mittleren Anforderungsbereich. Entsprechend des von mir für dieses Unterrichtsvorhaben operationalisierten KI-Kompetenzmodells wird die Zielsetzung deutlich, dass die Schüler*innen den Sparringspartner KI nicht nur anwenden, sondern darüber nachdenken sollen, ob die durch die KI bereit gestellten Ergebnisse, die eigene, konzeptionelle Leistung erweitern oder keine Berücksichtigung finden sollten. Diese individuelle Schülerreflexion wird dann im Tandem zusätzlich überdacht und verfeinert. Im Sinne eines sinnvollen, Co-kreativen, kommunikativen Prozesses in den jeweiligen Zielsprachen erstellt das Schülertandem gemeinsam ein Wortfeld.

Vorbereitungsschritt II: inhaltliche Vorstrukturierung

Abbildung 8: Inhaltliche Vorstrukturierung
Abbildung 8: Inhaltliche Vorstrukturierung

In einem weiteren Vorbereitungsschritt liegt der Fokus auf der materialgestützten Erarbeitung des inhaltlichen Themenschwerpunkts: dem Vergleich der beiden Schulsysteme entsprechend vorgegebener Kriterien, die sicherlich auch ergänzt werden können. Der Co-kreative, synchrone Erarbeitungsprozess einer zweisprachigen Gegenüberstellung der Schulsysteme über den Twinspace-Chat steht hier im Vordergrund. Dieser dient dazu, die Ergebnisse der individuellen Vorarbeit abzugleichen und weiterzuentwickeln. Der Schwierigkeitsgrad dieses Arbeitsblatts ist als hoch eingestuft, weil neben der eigenständigen Erarbeitung inhaltlicher Aspekte auf der Basis von Graphiken (ohne zusätzliche Schleife über KI-Tools) eine „Tempoaufgabe“ eingebaut wurde. Leistungsstarke Schülerteams erhalten hier zusätzliche Quellen (z.B. zur Förderung des Hör(-seh)verstehens Videos, die mit der Videoplattform edPuzzle mit Zusatzfragen und Vokabular didaktisiert wurden), um im Tandem weitere Kriterien zu ergänzen. Außerdem wurde von den Lehrkräften ein KI-gestützter Kriterienkatalog in Tabellenform generiert. Dieser sowie der dazugehörige Prompt wird dem Schülerteam ebenso zur Verfügung gestellt, um das entsprechende Ergebnis mit den eigenen Ausführungen zu vergleichen und zu kommentieren.

Erarbeitung des kriteriengeleiteten Vorentwurfs

Abbildung 9: Erarbeitung des kriteriengeleiteten Vorentwurfs
Abbildung 9: Erarbeitung des kriteriengeleiteten Vorentwurfs

Nachdem alle Vorarbeiten geleistet sind, geht es nun zur eigentlichen Verschriftlichung der ersten Rohfassung in individueller Arbeit. Beide, nun folgende Arbeitsblätter entsprechen aufgrund der Vielzahl an zusätzlichen Hilfestellungen, Ratschlägen und den kleinschrittigen Arbeitsanweisungen einem einfachen Anforderungsniveau (immer im anspruchsvollen Kontext einer Schreibproduktionsaufgabe im Anforderungsbereich III der gymnasialen Oberstufe). Der Kriterienkatalog ist nach inhaltlichen, strukturellen und sprachlichen Aspekten differenziert. Nach der Erstellung des Vorentwurfs arbeiten die Schülerinnen individuell mit der KI-gestützten Feedback-App FelloFish weiter. Auch dieses Arbeitsblatt ist aufgrund der differenzierten Arbeitsanweisungen und Hilfen für die italienischen Schülerinnen in seinem Differenzierungsgrad als eher leicht einzustufen. FelloFish ist insgesamt in Schülerinnenhand sehr gut intuitiv nutzbar, dennoch zeigt die Unterrichtspraxis, dass bestimmte Arbeitsschritte dezidiert aufgeführt werden müssen, damit die App richtig genutzt wird und die Vorzüge für Schülerinnen, die Deutsch als Zielsprache lernen, wie sprachliche Vorab-Prüfung des Textes, Umwandeln in einfache Sprache, Vorlese-Funktion, Übersetzung in die Muttersprache, deutlich werden. Ebenso sollte FelloFish den Schüler*innen vor Nutzung vorgeführt werden, damit man mit dem individualisierten Feedback sinnvoll weiterarbeiten kann.

Abbildung 10: Überarbeitung des ersten Rohentwurfs
Abbildung 10: Überarbeitung des ersten Rohentwurfs

Während für die Schülerinnen mit der Zielsprache Deutsch FelloFish auch sprachlich eine gute Unterstützung bieten kann, sollte die App von Schülerinnen mit der Zielsprache Italienisch eher inhaltlich genutzt werden. Dies sollte dies auch gemeinsam mit den Schüler*innen im Vorfeld analysieren und reflektieren. Das Problem wird an folgendem Beispiel deutlich.

Abbildung 11: Sprachliches Feedback mit FelloFish
Abbildung 11: Sprachliches Feedback mit FelloFish

Ich habe von ChatGPT einen Kommentar verfassen lassen. Die Sprachprüfung erkennt die in roter Farbe unterlegten Rechtschreibfehler und deutschen Begriffe. Die anderen von mir eingebauten, in gelber Farbe markierten, grammatikalischen Fehler oder Ausdrucksschwächen und Fehler auf semantischer Ebene bleiben von FelloFish unerkannt. An dieser Stelle zeigt sich die Stärke des „doppelten Sparringpartners“. Die sprachliche Ebene kann nun in einer weiteren Feedbackschleife im Schülertandem bearbeitet werden. Im Hinblick auf das inhaltliche Feedback gibt FelloFish auf der Basis meiner Feedbackkriterien, denen ich unterschiedliche Gewichtung zuweisen kann, und den Materialien, die in unterschiedlicher Form den Schüler*innen zur Verfügung gestellt werden können, sehr sinnvoll Hilfestellung zur Überarbeitung. Im Hinblick auf den von ChatGPT generierten Text erkennt die KI bei jedem Feedbackkriterium die zu schematische, verallgemeinernde, undifferenzierte Darstellung der Ergebnisse mit wenig Eigenanteil und persönlichem Erfahrungswissen.

Abbildung 12: Inhaltliches Feedback mit FelloFish
Abbildung 12: Inhaltliches Feedback mit FelloFish

Besonders vorteilhaft für Schüler*innen mit Deutsch als Fremdsprache ist die Funktion der vereinfachten Sprache, die Möglichkeit des Vorlesens und der Übersetzung.

Abbildung 13: Scaffolding mit FelloFish
Abbildung 13: Scaffolding mit FelloFish

Wichtig ist, dass die Schülerinnen nach dem Feedbackergebnis des KI-Tools ihren eigenen Text überarbeiten und dann im Sinne eines rekursiven Prozesses erneut prüfen lassen. Die erste Schreibkonferenz im Schülertandem bietet ein weiteres, wichtiges inhaltliches Feedback mit persönlichem Erfahrungswissen – denn der/die Tandempartnerin durchlebt das jeweils eigene Schulsystem gerade selbst. Wichtig ist aber auch das sprachliche Feedback, bei dem ein Feedbackbogen unerlässlich ist, damit die Schreibkonferenz (im Tandem oder in Kleingruppen) über Videokonferenz leitfadengestützt und strukturiert abläuft.

Abbildung 14: Überarbeitung in Schreibkonferenzen
Abbildung 14: Überarbeitung in Schreibkonferenzen

Schlussbemerkung

An dieser Standardsituation des Fremdsprachenunterrichts Schreibproduktion mit Feedbackprozess sollte exemplarisch aus der Praxis für die Praxis gezeigt werden, welches Potential in der Wechselwirkung beider Sparringspartner steckt. Ich würde die Vermutung anstellen, dass dieses „Power-Duo“ eine Potenzierung des Feedbackeffekts für die Schüler*innen zur Folge hat durch:

  • Stärkung der Prozesssteuerungskompetenz der Schüler*innen durch unterschiedliche Arbeitsformen
  • Verringerung des Risikos von Skill Skipping bei iterativ-rekursivem Vorgehen
  • Aufgreifen von Zwischenergebnissen in unterschiedlichen Wirkungszusammenhängen, wie hier deutlich wird:
  • Feedback (durch die Kombinatorik der Sparringspartner) bedeutet Schärfung der Reflexionskompetenz mit unterschiedlichem Fokus:
Es profitieren nicht nur die Schüler*innen von dem potenzierten Feedbackeffekt, sondern auch die im gesamten Feedbackprozess entlasteten Lehrkräfte, die ebenfalls in einer Co-kreativen Zusammenarbeit ihre Schülergruppen betreuen und sich damit gegenseitig bereichern und unterstützen können.

Bonus-Material

Hier findet ihr die Aufzeichnung des FelloFish Forums zu “KI im Fremdsprachenunterricht” mit Dr. Melinda Veggian und Regina Schulz vom 24.06.2025. Schaut euch hier u.a. die Ausführungen von Dr. Melinda Veggian zum oben skizzierten Unterrichtsvorhaben an.

Video: FelloFish Forum “KI und Fremdsprachenunterricht”

Hier findet ihr auch den Link zur Taskcard mit zusätzlichen Materialien und den Präsentationsfolien des FelloFish Impulses: https://li-hamburg.taskcards.app/#/board/6ea2b2a2-4d5e-4535-b41f-cdc59b933bef/view?token=c1cc4edf-384a-4264-9a4f-025c61288801

Literaturverzeichnis

Alles, Susanne/ Falck, Joscha/Flick, Manuel/Schulz, Regina: KI-Kompetenzen für Lehrende und Lernende. Aus der Praxis für die Praxis – eine adaptierbare Basis. https://www.vkkiwa.de/blog/ki-kompetenzen-fuer-lehrende-und-lernende/, 23.06.2025

Biebighäuser, Katrin/Zibelius, Marja/Schmidt, Torben (2012): „Aufgaben 2.0 –Aufgabenorientierung beim Fremdsprachenlernen mit digitalen Medien“, in: Biebighäuser, Katrin/Zibelius, Marja/Schmidt, Torben (Hrsg.): Aufgaben 2.0. Konzepte, Materialien und Methoden für das Fremdsprachenlehren und -lernen mit digitalen Medien, in: Tübingen, Narr, 12-51.

Hornberg, S., Becker, M. & Sonnenburg, N. (Hrsg.). (2025). Lernmobilität in Europa: Eine Mixed-Methods-Studie zu Erasmus+ in der Schule. Münster: Waxmann. https://doi.org/10.31244/9783818850258

Mrotzek-Becker, M. & Grabowski, J. (2022). Schreibkompetenz in der Sekundarstufe. Theorie, Diagnose und Förderung. Waxmann.

Surkamp, Carola: „Feedback im fremdsprachlichen Literatur- und Kulturunterricht.“ In: Eva Burwitz-Melzer, Claudia Riemer & Lars Schmelter (Hrsg.): Feedback beim Lehren und Lernen von Fremd- und Zweitsprachen. Arbeitspapiere der 42. Frühjahrskonferenz zur Erforschung des Fremdsprachenunterrichts. Tübingen: Narr, 2022. 193-204.

The OECD Learning Compass 2030https://www.oecd.org/en/data/tools/oecd-learning-compass-2030.html, 23.06.2025.

Weßels, Doris: Kolumne zum Thema "AI Leadership als Königsdisziplin", Ausgabe 06/2024 des Fachmagazins „changement!“ S. 10 f., Veröffentlichung: 6.09.2024.

https://storage.e.jimdo.com/file/2e97e22a-f8d5-4265-8f79-848620a17054/Vero%CC%88ffentlichte-Version_KI%20und%20Change.pdf

Autorin

Dr. Melinda Veggian ist Fremdsprachenlehrerin am Gymnasium. Sie ist Moderatorin für den Pädagogischen Austauschdienst im Rahmen der Initiative eTwinning for future Teachers und bietet insbesondere auf die Lehramtsausbildung und das Referendariat an Universitäten und Lehrerbildungszentren ausgerichtete Fortbildungen an. Außerdem leitet sie im Auftrag des VK:KIWA den Think Tank Lehren und Lernen im Kontext von KI.