Dieser Frage gingen wir im Rahmen eines Live-Talks von FelloFish Anfang April 2025 nach (Video ist unter dem Beitrag zu finden). Darin unternahmen wir den Versuch, das Startchancen-Programm mit seinen Programmsäulen und Programmzielen in Verbindung mit den Möglichkeiten und Potenzialen von Künstlicher Intelligenz zu bringen.
Was ist das Startchancen-Programm und was wird gefördert?
Zunächst zum Startchancen-Programm: Das auf zehn Jahre angelegte Bund-Länder-Programm (2024-2034) adressiert deutschlandweit 4.000 Schulen in herausfordernder Lage und möchte sie mit drei Säulen unterstützen:
Säule I umfasst ein Investitionsbudget, welches die Modernisierung und Ausstattung der Schulgebäude fokussiert und auf inklusive, lernförderliche Raumkonzepte und Lernumgebungen abzielt.
Säule II beinhaltet das sogenannte Chancenbudget, welches eine gezielte und nachhaltige Förderung der Schul- und Unterrichtsentwicklung im Blick hat. Ein Drittel dieses Topfes soll den Schulen zur freien Verfügung bereitgestellt werden.
In Säule III geht es um ein Personalbudget zur Stärkung multiprofessioneller Teams und der Schulsozialarbeit.
Neben den drei Säulen gibt es drei Ebenen, auf denen sich das Programm bewegt:
- die individuelle Ebene, welche auf die Kompetenzen der Schülerinnen und Schüler ausgerichtet ist und somit vor allem die Unterrichtsentwicklung betrifft
- die institutionelle Ebene, die die Personalentwicklung und die Organisationsentwicklung betrifft
- die systemische Ebene, die auf die Teamentwicklung sowie Netzwerkentwicklung abzielt und eine verbesserte Zusammenarbeit aller systemischen Akteure (Schule, intermediäre Ebene, Governance) fördern soll
Das Programm wird zuweilen verknappt auf das Ziel reduziert, die Anzahl der Schülerinnen und Schüler zu halbieren, die die Mindeststandards in Mathematik und Deutsch verfehlen. Es geht jedoch deutlich darüber hinaus.
Welchen Beitrag können KI-Tools im Rahmen des Startchancen-Programms leisten?
Bei der Überlegung, die Chancen der KI zur Erreichung der Programmziele zu nutzen, lohnt daher eine systematische Betrachtung dieser Ziele.
In diesem Beitrag soll auf Säule II fokussiert werden, obgleich sicherlich auch zur Verbesserung der pädagogischen Raumkonzepte (Säule I) und zur Stärkung der multiprofessionellen Teams (Säule III) einige Möglichkeiten bestehen, die KI sinnvoll in die Ideenentwicklung, fachliche Fundierung, Konzeptentwicklung, Entscheidungsfindung und Umsetzungsplanung einzubinden. Allerdings sind schularchitektonische und raumpädagogische Ansätze ebenso wie die multiprofessionelle Zusammenarbeit ohnehin wichtige Fragen der Schulentwicklung, sodass hier eine isolierte Betrachtung der Säulen etwas realitätsfern erscheint und alle Themen sowieso irgendwie in Säule II zusammenlaufen.
Im Orientierungspapier zur Verwendung des Chancenbudgets (= Anlage 3 der Bund-Länder-Vereinbarung) wird eine ganze Reihe an Zielen formuliert, aufgeteilt auf die bereits skizzierten drei Ebenen:
Individuelle Ebene
- Stärkung der Basiskompetenzen (Lesen, Schreiben, Rechnen) mit dem Ziel der Halbierung der Schülerinnen und Schüler, die die Mindeststandards in den Fächern Deutsch und Mathematik verfehlen
- Förderung der sozio-emotionalen Kompetenzen
- Persönlichkeitsbildung der Schülerinnen und Schüler
- Einsatz einer gezielten individuellen Diagnostik, die eine passgenaue und adaptive Förderung aller Schülerinnen und Schüler ermöglicht
- Erhöhung der Chancengerechtigkeit / Entkopplung von Bildungserfolgen und Zukunftsperspektiven von sozialer Herkunft
Institutionelle Ebene
- Befähigung des schulischen Personals zu verbesserten und leistungsfördernden Lehr- und Lernprozessen
- Befähigung zur persönlichkeitsförderlichen sowie ungleichheits- und diversitätssensiblen Begleitung der Schülerinnen und Schüler
- Hinzuziehen externer Dienstleistungen wie Beratungs- und Unterstützungsangebote
- Ausweitung des Begegnungs- und Lernraums von Schülerinnen und Schülern durch Verankerung der Startchancen-Schulen im Sozialraum
- Stärkung der schulübergreifenden Zusammenarbeit zur Gestaltung von Übergängen
- Verbesserung des schulischen Qualitätsmanagements
- zeitgemäße und förderliche Lernumgebung mit modernen, klimagerechten und barrierefreien Lernorten
- Schaffung einer positiven Schulkultur und Elternzusammenarbeit
Systemische Ebene
- Vernetzung von Startchancen-Schulen für den gemeinsamen Erfahrungsaustausch und zur Qualitätsentwicklung
- Verbesserte Zusammenarbeit aller systemischen Akteure, v.a. Schulträger, Schulaufsicht, Kommunen, Ministerien, Landesinstitute/Qualitätsagenturen und Schulentwicklungsbegleitung
- Maßnahmen zur Stärkung, Professionalisierung und Synchronisierung des Verwaltungs-, Unterstützungs- und Beratungssystems
- Eröffnung von Freiräumen und bedarfsgerechten Lösungen
- Stärkung multiprofessioneller Zusammenarbeit innerhalb und außerhalb der Schulen
Auf individueller Ebene lässt sich somit die KI einsetzen für die „systematische Potenzialförderung, individuelle Förderung und Kompetenzentwicklung“ (Orientierungspapier, Seite 3), beispielsweise in Form von Maßnahmen, die „die individuelle Diagnostik mit einer passgenauen und adaptiven Förderung [verknüpfen]“ (ebd.). Hierbei werden einige Aspekte explizit benannt (Seite 4):
- „Nutzung von Materialien und digitalen Tools zur Unterstützung der individuellen Diagnostik und Erhebung des individuellen Lernstandverlaufs […],
- Nutzung von Materialien und digitalen Tools zur Unterstützung der adaptiven Förderung (z.B. Lese-Apps),
- Tutoring-Programme (z.B. „Lesen mit dem Turbo-Team“)“
Somit dürfen auch Anwendungen wie FelloFish berechtigte Hoffnung in die grundsätzliche Förderwürdigkeit im Rahmen des Startchancen-Programms legen. Denn: Das freie Chancenbudget, das die Startchancen-Schulen angeblich selbst verwalten dürfen sollen, umfasst „nur“ ein Drittel des Gesamtbudgets aus Säule II und die Mittelzuweisung erweist sich „noch“ als höchst bürokratisch, unklar und alles andere als „frei“. So berichten zahlreiche Schulen über die einzelnen Länder hinweg, dass bis heute „noch kein Cent geflossen“ sei (vgl. auch die GEW-Zeitschrift 03/2025). Teilweise nehmen die bildungsbürokratischen und bildungsföderalistischen Hürden hier groteske Züge an, wenn einerorts von „Antragsobergrenzen“ von 10.000 € gesprochen, andernorts „Vergleichsangebote“ eingeholt werden müssen, wiederum anderswo behauptet wird, dass die Mittel auch in das nächste Schuljahr geschoben werden können, während die nächste Kommune die Mittelverausgabung innerhalb eines festgelegten Zeitraumes verlangt, dabei jedoch Fristen definiert, bis zu denen Anträge gestellt worden sein müssen, damit Gelder für den nächsten „Bewilligungszeitraum“ bereitgestellt werden können, und Schulen dadurch externen Anbietern keine Zusagen machen können und Vertragsabschlüsse hinausgezögert werden. Eine didaktische Leitung aus NRW kürzlich hierzu: „Jede Kommune macht es anders. […] Schule und Abrechnungswesen […], das habe ich wirklich in meinen 25 Jahren auch noch nicht erlebt.“
Doch weg von den Startschwierigkeiten und hin zu den zweifelsohne vorhandenen Chancen hinter dem Programm:
Denn auch auf institutioneller Ebene besteht Potenzial für das pädagogische Personal in Sachen KI-Einsatz, und zwar zur Unterrichtsvorbereitung und -durchführung, ebenso zur Fortbildung in den Bereichen KI und Digitalität, aber auch zur Optimierung und Effizienzsteigerung schulverwalterischer Aufgaben.
Laut Orientierungspapier (S. 5) sind hierbei vor allem förderwürdig:
- die Implementierung datengestützter Entwicklungszyklen (z.B. digitale Unterstützung zum Monitoring von Leistungsentwicklung) und
- die Professionalisierung des Personals in den Bereichen
Susanne Alles, Joscha Falck, Manuel Flick und Regina Schulz haben ein KI-Kompetenzmodell entwickelt, welches zur Unterrichts- und Personalentwicklung beitragen kann. Wie sehr eine Schule jedoch überhaupt bereit dazu ist, KI einzusetzen, lässt sich mithilfe eines kleinen KI-Readiness-Checks überprüfen.
Auf systemischer Ebene können KI-Anwendungen wie FelloFish, schulKI, Schooltogo oder die Angebote von fobizz einen wichtigen Platz in der Bildungslandschaft einnehmen, da Schulen nicht nur nach Einzellösungen suchen, sondern auch von ihrer Landesregierung landesweit akzeptierte und verfügbare Lösungen erwarten. Daher werden allerorts KI-Guidelines verfasst und Landeslizenzen verhandelt. Allerdings in unterschiedlichen Geschwindigkeiten und mit unterschiedlichen Ergebnissen. Und deshalb auch mit dem Nachteil, dass bspw. ein Schüler in Mecklenburg-Vorpommern bereits seit 2023 eine Sprach-KI verwenden kann, während ein Schüler aus Thüringen erst drei Jahre später damit wird arbeiten können. Diese immensen Landesunterschiede erschweren einen einheitlichen Umgang mit den Chancen und Risiken von Künstlicher Intelligenz und stehen somit auch dem Ziel der Chancengerechtigkeit deutlich im Wege.
Dabei zeigt mittlerweile auch die Forschung, welches Potenzial KI für die Lernleistungen der Schülerinnen und Schüler haben kann, wenn sie didaktisch gut eingebettet ist. Es bleibt daher zu hoffen, dass uns unser Bildungsföderalismus und unsere Datenschutzaffinität in Deutschland nicht zu weit zurückwerfen und das Startchancen-Programm hier nicht weiter ausbremsen. Denn es gibt einen entscheidenden Unterschied zwischen „Das geht alles nicht!“ und „Das geht nicht alles.“ Doch hierfür ist ein wenig Mut von allen Seiten erforderlich, Neues einfach mal auszuprobieren. Könnte ja schließlich gut werden…
Impuls von Dennis Sawatzki im FelloFish Forum zum Startchancen-Programm und Künstliche Intelligenz
Material
Wie beim Digitalpakt ist auch beim Startchancen-Programm damit zu rechnen, dass Schulen und Schulträger für die Anschaffungswünsche innerhalb der einzelnen Säulen ein schlüssiges Konzept, zumindest jedoch eine Begründung einreichen müssen, um Startchancen-Gelder einsetzen zu können.
In Zusammenarbeit mit dem Institut für Schulentwicklung und Hochschuldidaktik haben wir ein Paper entwickelt, das Schulen und Schulträger bei der Anschaffung von FelloFish Lizenzen entlastet. Es enthält passgenaue Begründungen für die Förderfähigkeit des Tools und vereinfacht den Anschaffungsprozess.
Autor
Dennis Sawatzki
Institut für Schulentwicklung und Hochschuldidaktik